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Musikwissenschaft und Genderforschung – eine Tagung für Clara Schumann

Masterstudierende des Instituts für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig haben den 200. Geburtstag von Clara Schumann im Jahre 2019 zum Anlass genommen, sich mit ihr als Künstlerin, aber auch mit der Stellung von Frauen in der heutigen Musikforschung und im öffentlichen Konzertbetrieb sowie mit den Zusammenhängen von Musik und Gender im Allgemeinen zu beschäftigen. Dafür organisierten sie am 8. Februar 2019 eine Tagung an der Hochschule, die zugleich im Rahmen der von Constanze Rora und Martina Sichardt initiierten Reihe Musik und Gender der Fakultät III der HMT stand. Den Fokus dieser Veranstaltung zeigte bereits der Titel an: Musikwissenschaft und Genderforschung – eine Tagung für Clara Schumann. Es ging also nicht in erster Linie darum, über Clara Schumann zu diskutieren, sondern darum, sich den Themengebieten der Gender Studies, des Feminismus und der Queer-Theorien anzunehmen und deren Verbindungen zur Musik zu beleuchten. Anlässlich des von der Stadt Leipzig ausgerufenen »Clara 19«-Jahres lag das nahe, und bei der Veranstaltung wurde deutlich, auf wie vielen Ebenen hierzu Gesprächsbedarf bestand.

 

Renommierte Gäste stellten nach der musikalischen Eröffnung durch Asen Tanchev am Klavier (mit den Pièces fugitives op. 15 von Clara Schumann) zunächst ein breites Spektrum der Forschungsgebiete vor. Mit Prof. Dr. Beatrix Borchard eröffnete eine Pionierin der musikalischen Genderforschung die Vorträge und präsentierte den Stand des Wissens und neue Quellenfunde zur Biografie von Clara Schumann. Ergänzend standen Dr. Mirjam Gerbers Erkenntnisse zu Leipziger Musiksalons im 19. Jahrhundert, die neben der Kompositionsgeschichte auch ihrer Funktion als Multiplikatoren des Musiklebens galten. Prof. Dr. Florian Heesch und L. J. Müller nahmen sich der Popmusikforschung an und stellten in ihren Beiträgen (Aus-)Wirkungen des Geschlechts im Blick auf die Darstellung und Interpretation von Künstler_innen dar. Zudem problematisierten sie Hörgewohnheiten von Rezipientinnen und Rezipienten ebenso wie gängige Analysemittel und deren Begriffe. Zum Abschluss der Vorträge untersuchte Prof. Dr. Gesine Schröder die Verbindung der Gender Studies zur Musiktheorie und thematisierte u. a. Wirkungen und Modetendenzen von Methoden im Laufe der Zeit.

 

Reger Austausch herrschte nicht nur während der Pausen, sondern auch durch zahlreiche Fragen und Anregungen des Publikums. Insbesondere zeichnete sich Interesse an der gegenwärtigen Situation im öffentlichen Raum ab, sowohl in der Wissenschaft und an den Hochschulen als auch im Konzertbereich. Passend dazu erschien ein Projekt der Pianistin Kyra Steckeweh, die 2018 gemeinsam mit Tim van Beveren den Film Komponistinnen produziert und veröffentlicht hat. Schon länger konzentriert sich Steckeweh auf Klavierkompositionen von Frauen, um dieses Repertoire besser bekannt zu machen und dem Musikbetrieb neue Impulse zu geben. An dieser Stelle knüpft auch ihr Film an, von dem Ausschnitte gezeigt werden konnten: In der Musikwissenschaft wie auch in der Musikpraxis werde nach und nach das Œuvre von Komponistinnen der Zeit vor 1900 wiederentdeckt. Dabei wäre nach Steckeweh das Publikum bereit, neues Repertoire kennenzulernen, wenn der nötige Raum hierfür geschaffen würde.

 

Es folgte eine Podiumsdiskussion zur Relevanz von Genderfragen im klassischen Musikbetrieb. Der Diskussionsrunde, moderiert von Elisabeth Sasso-Fruth, gehörten mit Beatrix Borchard, Florian Heesch, Eva Meitner, Gesine Schröder und Kyra Steckeweh Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Kunst und Wissenschaft an. Dadurch wurde auch hier eine Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven sowie ein ambivalentes und kontrastreiches Spektrum persönlicher Erfahrungen aufgezeigt. So resümierte die Dirigentin Eva Meitner zahlreiche gescheiterte Versuche, musikalische Formate mit Frauen – beispielsweise das von ihr beim Leipziger Lichtfest 2018 initiierte Frauenorchester – zur akzeptierten Normalität zu machen: Ganz anders als bei Pianistinnen sei es längst noch nicht ›normal‹, Dirigentin zu sein. Aus der Wissenschaft kamen ähnliche Erfahrungen. Die Musiktheoretikerin Gesine Schröder berichtete von »starren Strukturen« im akademischen Musikbetrieb. Nicht in allen Bereichen der Musikforschung würden Frauen gleichberechtigt am Diskurs teilnehmen: »Als Musiktheoretikerin hat man in der Regel nie mit Texten von Frauen zu tun […], die Standardwerke stammen in der Regel nicht von Frauen und sie kommen auch nicht zur Sprache.« Beatrix Borchard erinnerte sich an den Entstehungs- und Entwicklungsprozess der Plattform Musikvermittlung und Genderforschung im Internet (MUGI): Zunächst habe es dabei ein »Gefühl des Ausgeschlossenseins« gegeben, »vor allem bei den männlichen Kollegen«. Ihrer Meinung nach sei dies auf das Fehlen entsprechender Forschungsstände vor allem im Bereich der Männlichkeitsforschung zurückzuführen. Seit dem Internationalen musikwissenschaftlichen Kongress Der »männliche« und der »weibliche« Beethoven (Berlin 2001) hätten allerdings Veränderungen stattgefunden.

 

Florian Heesch wies auf die Notwendigkeit einer vielseitigen Auseinandersetzung mit der Teilhabe verschiedener Geschlechter am musikwissenschaftlichen Diskurs hin und zeigte sich überzeugt, »dass das Thema Gender Studies für Männer heute genauso relevant ist wie für Frauen, [denn] das ist common sense in der Genderforschung«. Auch Männer kämen an der Arbeit in diesem Bereich nicht mehr vorbei. »Musik steht für sich, sie hat kein Geschlecht«, stellte Kyra Steckeweh dazu fest. Jedoch blieb sie dabei, dass es Missverhältnisse in der Aufarbeitung gäbe. Daher sei nicht nur ein Bewusstsein für das Œuvre von Komponistinnen zu schaffen, sondern auch für die Hinterfragung von ›kultureller Identität‹. Besonders der klassische Musikbetrieb weise aufgrund hierarchischer Strukturen und gängiger Vorurteile Mängel auf: »Jegliche Abweichung wird sanktioniert«, resümierte Beatrix Borchard. Immerhin zeichneten sich Ansätze der Veränderung ab, beispielsweise bei Festivals zur Neuen Musik: Hier würde versucht, ein Gleichgewicht der Geschlechter herzustellen. In den Orchestern sei zwar neben einer Verjüngung auch eine Stärkung des Frauenanteils zu erkennen, aber nur in bestimmten Instrumentengruppen. Noch immer bestünden stereotype Zuordnungen ›männlich‹ und ›weiblich‹ konnotierter Instrumente, häufig aufgrund deren Größe in Verbindung mit einem »exklusiven Männlichkeitskult«. Dennoch gäbe es positive Entwicklungen, etwa die vermehrte Berufung weiblicher Konzertmeisterinnen oder das Aufbrechen patriarchaler Strukturen in Kulturinstitutionen. Einig war sich die Runde, dass die Kategorien »gut« und »schlecht« zur Bewertung von Musik ungeeignet seien. Stattdessen sei ein Bewusstsein für die individuelle Komposition zu schaffen und dies als allgemeiner Bildungsauftrag zu verstehen.

 

Somit standen als Ergebnis einerseits ernüchternde Beobachtungen zur weiterhin prekären Situation von Genderfragen, zur Abwehr von Feminismus und Genderforschung sowie zum Maskulinismus im Musikbetrieb. Andererseits wurden Lösungsansätze aufgezeigt. Bereits in der Ausbildung und im öffentlichen Diskurs sollten Entwicklungen zu flacheren Hierarchien als Vorbild genommen, reflektiert und bewusst gemacht werden. Als fundamentale Probleme blieben jedoch die starre Tradition, die Reduktion auf einen scheinbar feststehenden Kanon und die resultierende Bequemlichkeit von Publikum und Kulturinstitutionen. Stattdessen wünschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung eine Öffnung des Kanons und »echte Neugierde« des Publikums.

 

Albrecht Buder, Julian Dittrich,

Louisa Hutzler, Mara Muck,

Helen Clarissa Wilde

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musikwissenschaft@hmt-leipzig.de

 

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