FACHRICHTUNG DRAMATURGIE
Dramaturgie
Chaotisch oder stringent? Homogen oder verschiedenartig? Plötzlich oder sich allmählich entfaltend? – Alles was wahrgenommen werden will, muss seine Mittel wählen und strukturieren: es entwirft sich anhand einer Dramaturgie. Auf diese Dramaturgie hin lassen sich die verschiedensten Phänomene befragen: einzelne Kunstwerke, Bezüge zwischen Werken, öffentliche Institutionen und kulturelle Praktiken. Und wer sich mit Dramaturgie im ästhetischen Bereich beschäftigt, wird sich auch dafür interessieren, welchen Dramaturgien die Inszenierungen im politischen und sozialen Feld folgen. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst angesiedelt, geht zeitgenössische Dramaturgie Fragen dieser Art nach.
Berufsperspektiven
Dramaturgische Berufspraxis umfasst die Entwicklung künstlerischer Konzepte und Projektreihen sowie das Initiieren, die Begleitung und Reflexion einzelner Projekte. Durch Programmgestaltung und Außendarstellung prägt dramaturgische Arbeit maßgeblich die thematische und ästhetische Gesamtausrichtung von Kulturinstitutionen mit. Mögliche Arbeitsfelder sind an Stadt- und Staatstheatern, für freie Produktionshäuser oder Festivals, in Rundfunk- und Fernsehredaktionen oder Filmproduktionen, im Ausstellungs- und Konzertwesen, in der Öffentlichkeitsarbeit oder im publizistischen Bereich. Angesichts dieser Vielfalt von Berufsmöglichkeiten ist es notwendig, sowohl eine breite Orientierung in unterschiedlichen kulturellen Sphären zu entwickeln als auch eigene Arbeitsschwerpunkte auszubilden.
Das Bachelorstudium sieben Semester. Voraussetzung ist die Hochschulreife, ein halbes Jahr Praxis im Theater-, Medien-, Musik- oder Tanzbereich sowie das Bestehen der Aufnahmeprüfung. Jedes Jahr im Wintersemester werden jeweils max. 10 Studierende aufgenommen, so dass gleichzeitig immer max. 30 BA-Studierende in 3 Jahrgangsgruppen studieren. Bewerbungen sind in der Regel Anfang bis Ende März auf unserem Online-Portal möglich. Aufnahmeprüfungen finden Anfang Juni statt.
Im Masterstudiengang werden alle zwei Jahre bis zu acht Studierende aufgenommen, die vorher einen Bachelor-Studiengang (auch in anderen Fächern) absolviert und die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Sie vertiefen ihre individuellen Schwerpunkte und ergänzen ihr im Bachelorstudium erworbenes Wissen. Der Studiengang richtet sich einerseits an Studierende mit vorwiegend theoretischen Vorkenntnissen, die sich nun die dramaturgische Praxis erarbeiten wollen, und andererseits an Personen, die eine längere Praxiserfahrung haben und nun ihre theoretischen Kenntnisse ausbauen wollen.
Studienstruktur
Im Bachelorstudiengang verschaffen sich die Studierenden in den ersten beiden Semestern einen Überblick über Theorie und Geschichte von Theater, Medien und Musik/ Tanz und üben ihre Analysefertigkeiten. Sie erproben, welchem der drei Bereiche ihr besonderes Interesse gilt. Ab dem dritten Semester können und müssen sie sich für einen dieser drei Schwerpunkte entscheiden. Parallel zu dieser Schwerpunktbildung haben sie bis ins sechste Semester weiterhin gemeinsame Lehrveranstaltungen zu berufsbildenden Fertigkeiten und zu übergreifenden Fragestellungen. Im dritten Semester widmen sich die Studierenden der Praxis, indem sie an selbstgewählten Institutionen hospitieren und ein eigenes Projekt entwickeln. Das siebte Semester ist dem Verfassen der Bachelorarbeit vorbehalten.
Im Masterstudiengang wählen die Studierenden für das erste Semester zwischen Theorie- und Praxisschwerpunkt, bevor sie sich ab dem zweiten Semester für einen thematischen Schwerpunkt entscheiden. Die Möglichkeit eines Theorie- oder Praxisschwerpunktes besteht auch für den Studienabschluss: die Studierenden können entweder eine wissenschaftliche Masterarbeit schreiben, die sie anschließend öffentlich verteidigen, oder ein künstlerisch-dramaturgisches Masterprojekt realisieren, das sie im Anschluss wissenschaftlich analysieren.
Der Unterricht in beiden Studiengängen setzt sich zu etwa zwei Dritteln aus theoretisch-wissenschaftlichen und zu einem Drittel aus künstlerisch-praktischen Lehrveranstaltungen zusammen. Hierzu gehören Seminare, Vorlesungen, Übungen und Kolloquien zu theoretischen, historischen, methodischen und dramaturgischen Fragen sowie
Exkursionen,
Praktika und
Projekte in den Bereichen Theater, Medien und Musik/Tanz.
Studienschwerpunkte
Theater
Geschichte und Theorie des Theaters, Aufführungsanalyse und Textfassungen sind Bestandteile des allgemeinen Curriculums. Wer sich für den Schwerpunkt Theater entscheidet, vertieft darüber hinaus die hier angelegten Fragestellungen in Seminaren u.a. zu aktuellen und historischen Theatertexten, zu Inszenierungen und Räumen, zum Übersetzen, zu experimenteller Dramaturgie oder Spielplangestaltung. Durch gemeinsame Aufführungsbesuche werden das analytische Sehen und die Suche nach den passenden Wörtern geübt, Lektüreseminare versetzen in die Lage, Gesehenes historisch, soziologisch und theoretisch zu kontextualisieren. Die fest in der Studienordnung verankerten Exkursionen sowie die vorgesehenen Projekte und Praktika ermöglichen es, unterschiedliche ästhetische Ansätze und verschiedene Organisationsformen kennenzulernen. Im Verlauf des Studiums geht es darum, mit Geschichte sowie aktuellen Stoffen und Methoden so vertraut zu werden, dass eigene Fragen zu Ästhetik, Struktur und Funktion von Theater entwickelt werden können.
Medien / Intermedialität
Die Künste spiegeln es zurück: Wir leben in einer hochmediatisierten Welt. Die meisten kulturellen, sozialen und ästhetischen Sphären sind durchdrungen von medialen Praktiken; sie modulieren unser Denken, Wahrnehmen und Fühlen. Medien sind nicht die technischen Apparate oder die Institutionen, die zwischen Sender und Empfänger vermittelt. Medialität bezeichnen vielmehr eine besondere Perspektive auf die Spiel- und Reflexionsräume unserer ästhetischen Aneignungsprozesse, unserer epistemischen Produktionen, unserer sozialen Interaktionen und unseres politischen Urteilens: Medien fordern uns auf, mit dem Eigensinn und der Materialität des „Außen“ zu denken. Der Schwerpunkt Medien / Intermedialität trägt diesem Aspekt Rechnung.
Um dieses Feld zu erschließen und fundierte Grundlagen für die Praxis und Analyse zu schaffen, beschäftigen sich die Studierenden mit der Geschichte und Theorie von Film, Video, auditiven Medien bis hin zum Computerspiel und sozialen Medien. Einführungen in die Praxis von Aufnahmetechniken, von Audio- und Film / Videoschnitt schaffen Voraussetzungen für eigene Projekte in unterschiedlichen Formaten. Die Studierenden untersuchen intermediale Verhältnisse zwischen Film / Video und Theater / Performance und fragen: Welche Strategien der künstlerischen Übersetzung, Aneignung, Umarbeitung und Durchdringung sind entwickelt worden?
Musik / Tanz
Mit der Schwerpunktwahl Musik / Tanz ist zum einen eine Konzentration auf dramaturgische Fragen des Musiktheaters sowie auf Konzert- und Tanzdramaturgie verbunden. Vermittelt werden ein ästhetisches und geschichtliches Verständnis sowie wissenschaftlich fundierte und künstlerische Zugangsweisen zu historischen, zeitgenössischen und experimentellen Formen von Musiktheater, Konzert und Tanz. Zum Curriculum dieses Schwerpunkts gehören auch musik- und tanzspezifische praktische Angebote anderer Fachrichtungen wie Tanz-, Gesangs-, oder Instrumentalunterricht und Tonsatz, Instrumentation oder Partiturkunde. Ausgehend von einer im 20. Jahrhundert stärker werdenden Tendenz zur Musikalisierung des Theaters und zur Theatralisierung der Musik werden besonders die Schnittstellen zu Entwicklungen des zeitgenössischen Theaters, der Performance und der Medien beleuchtet und reflektiert. Rhythmisierungen von Theatervorgängen, chorisches Sprechen oder der atmosphärische Einsatz von Sound-Effekten gehören ebenso zu dieser Entwicklung wie jede Art der szenischen Musik, der Raum-Musik, der Einsatz (live-)elektronischer Medien oder ein erweitertes Verständnis von Komposition als Schnittstelle von musikalischen, textlichen, medialen, visuellen und choreografischen Strukturen. Ein weiterer Fokus liegt auf der konkreten produktionsdramaturgischen Begleitung und Entwicklung von musikalisch-szenischen Projekten im weitesten Sinne, von der Opernproduktion über die experimentelle Projektentwicklung bis hin zur Konzert-Performance. Der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ausbildungsbereichen der Hochschule und anderen Institutionen gilt hier das besondere Interesse, ebenso der Kooperation innerhalb des 2016 an der HMT gegründeten Zentrums für Gegenwartsmusik.
Praxisbezug
Dramaturgie ist an der HMT Leipzig eingebettet in ein Umfeld von über 90 künstlerischen Studiengängen, von Komposition und Jazz über zahlreiche Instrumentalfächer bis zu Gesang und Schauspiel. Sowohl innerhalb der Fachrichtung als auch fachrichtungsübergreifend werden musikalische, szenische und kuratorische Projekte erarbeitet oder begleitet. Daneben bestehen Kooperationen mit externen Partner:innen wie dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL), der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) oder dem Schauspiel Leipzig. Neben Übungen und kleineren Projekten sind in der Studienordnung auch längere Praktika vorgesehen, die innerhalb von Institutionen im Theater-, Medien- oder Musikbereich, im Rahmen von Hochschulprojekten oder als selbständige Projekte der Studierenden absolviert werden können. Lehraufträge von Dozent:innen aus unterschiedlichsten Bereichen der Berufspraxis – von Regisseur:innen, Dramaturg:innen, Autor:innen und Komponist:innen über Szenograf:innen, Film-, Video- und Audiokünstler:innen bis zu Theater- und Festivalleiter:innen, Kurator:innen und PR-Spezialist:innen – gehören zum Curriculum. Der Praxisbezug wird erweitert durch regelmäßige Workshops und Vorträge.
Lehrende
An der Fachrichtung Dramaturgie unterrichten als festangestellte
Lehrkräfte drei Professorinnen und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter:
Medienpraxis wird momentan von
Henrike Meyer (Dokumentarfilmerin)
unterrichtet.
Weiterhin waren und sind u.a. folgende Gastdozenten in die Lehre
an der Fachrichtung involviert:
Bettina Auer (Musiktheater-Dramaturgin),
Stephan Buchberger (Musikdramaturg Ruhrtriennale),
Constanze Fischbeck (Bühnenbildnerin/ Videokünstlerin),
Cathy de Haan (Drehbuchautorin),
Patrick Hahn (Musikdramaturg Gürzenich-Orchester),
Kirsten Hehmeyer (Leitung Pressebüro Deutsche Oper Berlin),
Daniel Hengst (Videokünstler),
Alexander Kerlin (Dramaturgie Theater Dortmund),
Hans-Werner Kroesinger (Regisseur),
Wolfram Lotz (Autor),
Ulrich Mokrusch (Intendant Stadttheater Bremerhaven),
Irina Pauls (Choreographin),
Christine Peters (Kuratorin),
Jossi Wieler und Sergio Morabito (Intendanz / Dramaturgie Staatsoper Stuttgart),
Martin Wigger (Dramaturg) u.v.m.
Geschichte
Die Fachrichtung Dramaturgie an der HMT wurde 1993 / 94 gegründet. Diese Gründung erfolgte nach der Auflösung der bis dahin in Leipzig existierenden Theaterhochschule »Hans Otto«, an der man Schauspiel, Choreografie und Theaterwissenschaft studieren konnte. Die Schauspiel-Ausbildung wurde der Leipziger Hochschule für Musik »Felix Mendelssohn Bartholdy« angeschlossen, die Theaterwissenschaft wurde an die Universität verlegt und an der Hochschule wurde die Fachrichtung Dramaturgie gegründet.
Seither heißt die Leipziger Hochschule
"Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy«".