Seit 1995 kann man an der Hochschule für Musik und Theater
»Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig Dramaturgie studieren.
Seit dem Wintersemester 2009/2010 bietet die Leipziger Hoch-
schule als einzige Hochschule neben Zürich einen neu konzi-
pierten Bachelor-Studiengang an. Einen Masterstudiengang
Dramaturgie gibt es in Leipzig seit dem Wintersemester 2012 /
2013.
Dramaturgie
Chaotisch oder stringent, homogen oder verschiedenartig – alles was wahr-
genommen werden will, muss seine Mittel wählen und strukturieren: es entwirft
sich anhand einer Dramaturgie. Auf diese Dramaturgie hin lassen sich die
verschiedensten Phänomene befragen: einzelne Kunstwerke, Zusammenhänge
zwischen verschiedenen Werken, die Profilbildung von Institutionen. Und wer
sich mit Dramaturgie im ästhetischen Bereich beschäftigt, wird sich auch dafür
interessieren, welchen Dramaturgien die Inszenierungen im politischen und
sozialen Feld folgen. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst angesie-
delt, geht zeitgenössische Dramaturgie Fragen dieser Art nach.
Berufsperspektiven
Dramaturgische Berufspraxis umfasst die Entwicklung künstlerischer Konzepte
und Projektreihen sowie das Initiieren, die Begleitung und Reflexion einzelner
Projekte. Durch Programmgestaltung und Außendarstellung prägt dramatur-
gische Arbeit maßgeblich die thematische und ästhetische Gesamtausrichtung
von Kulturinstitutionen mit. Mögliche Arbeitsfelder sind an Stadt- und Staats-
theatern, für freie Produktionshäuser oder Festivals, in Rundfunk- und Fernseh-
redaktionen oder Filmproduktionen, im Ausstellungs- und Konzertwesen, in der
Öffentlichkeitsarbeit oder im publizistischen Bereich. Angesichts dieser Vielfalt
von Berufsmöglichkeiten ist es notwendig, eigene Arbeitsschwerpunkte aus-
zubilden.
Das Bachelorstudium dauert drei Jahre. Voraussetzung ist nach Erlangung der
Hochschulreife ca. ein Jahr Praxis in einem Theater-, Medien-, Musik- oder
Tanzbereich sowie das Bestehen der Aufnahmeprüfung, die alle drei Semester
stattfindet. Es werden jeweils max. 15 Studierende aufgenommen, so dass
gleichzeitig immer max. 30 BA-Studierende in 2 Jahrgangsgruppen studieren.
Im Masterstudiengang werden alle zwei Jahre bis zu acht Studierende aufge-
nommen, die vorher einen Bachelor-Studiengang (auch in anderen Fächern)
absolviert und die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Sie vertiefen ihre
individuellen Schwerpunkte und ergänzen ihr im Bachelorstudium erworbenes
Wissen. Der Studiengang richtet sich einerseits an Studierende mit vorwie-
gend theoretischen Vorkenntnissen, die sich nun die dramaturgische Praxis
erarbeiten wollen, und andererseits an Personen, die eine längere Praxis-
erfahrung haben und nun ihre theoretischen Kenntnisse ausbauen wollen.
Studienstruktur
Im Bachelorstudiengang verschaffen sich die Studierenden in den ersten
beiden Semestern einen Überblick über Theorie und Geschichte von Theater,
Medien und Musik/ Tanz und erproben, welchem der drei Bereiche ihr
besonderes Interesse gehört. Ab dem drittem Semester können und müssen
sie sich für einen dieser drei Schwerpunkte entscheiden. Parallel zu dieser
Schwerpunktbildung haben sie bis ins fünfte Semester weiterhin gemeinsame
obligatorische Lehrveranstaltungen in den Bereichen Theorie und Geschichte
sowie Analysen und Methoden.
Im Masterstudiengang wählen die Studierenden für das erste Semester
zwischen Theorie- und Praxisschwerpunkt, bevor sie sich ab dem 2. Semester
für einen thematischen Schwerpunkt entscheiden. Die Möglichkeit eines
Theorie- oder Praxisschwerpunktes besteht auch für den Studienabschluss:
die Studierenden können entweder eine wissenschaftliche Masterarbeit
schreiben, die sie anschließend öffentlich verteidigen, oder ein künstlerisch-
dramaturgisches Masterprojekt realisieren, das sie im Anschluss wissen-
schaftlich analysieren. Der Unterricht in beiden Studiengängen setzt sich zu etwa
zwei Dritteln aus theoretisch-wissenschaftlichen und zu einem Drittel aus
künstlerisch-praktischen Lehrveranstaltungen zusammen. Hierzu gehören
Seminare, Vorlesungen, Übungen und Kolloquien zu theoretischen,
historischen, methodischen und dramaturgischen Fragen sowie Exkursionen,
Praktika und Projekte in den Bereichen Theater, Medien und Musik/Tanz.
Theater
Geschichte und Theorie des Theaters, Aufführungsanalyse und Textfassungen
sind Bestandteil des allgemeinen Curriculums. Wer sich für den Schwer-
punkt Theater entscheidet, vertieft darüber hinaus die hier angelegten Frage-
stellungen in Seminaren u.a. zu aktuellen und historischen Theatertexten, zu
Inszenierungen und Räumen, zum Übersetzen, zu experimenteller Dramaturgie
oder Spielplangestaltung. Durch gemeinsame Aufführungsbesuche werden
das analytischen Sehen und die Suche nach den passenden Wörterngeübt,
Lektüreseminare versetzen in die Lage, Gesehenes historisch, soziologisch
und theoretisch zu kontextualisieren. Die fest in der Studienordnung verankerten
Exkursionen sowie die vorgesehenen Projekte und Praktika ermöglichen es,
unterschiedliche ästhetische Ansätze und verschiedene Organisationsformen
kennenzulernen. Im Verlauf des Studiums geht es darum, mit Geschichte sowie
aktuellen Stoffen und Methoden so vertraut zu werden, dass eigene Fragen zu
Ästhetik, Struktur und Funktion von Theater entwickelt werden können.
Medien / Intermedialität
Der Schwerpunkt Medien / Intermedialität trägt der zeitgenössischen Entwicklung
Rechnung, dass in allen Künsten, für deren Erzählweisen und Inszenierungs-
formen, mediale Dramaturgien einen wichtigen Fokus bilden. Die gesellschaft-
liche Dominanz medialer Kommunikationsformen bildet den Hintergrund für
künstlerische Aneignungen. Medien werden in Aufführungen integriert, indem
z.B. die Arbeit mit der Live-Kamera auf der Bühne oder digitale Transformationen
die Aktionen der (Schau) Spieler ergänzen.
Um dieses Feld für das Studium zu erschließen und fundierte Grundlagen für
die Praxis und Analyse zu schaffen, beschäftigen sich die Studierenden
in diesem Schwerpunkt mit Geschichte und Theorie von Film, Video, auditiven
Medien bis hin zum Computerspiel. Einführungen in die Praxis von Aufnahme-
techniken, von Audio- und Film / Videoschnitt schaffen Voraussetzungen für
eigene studentische Projekte unterschiedlicher Formate.
Die Studierenden untersuchen intermediale Verhältnisse zwischen Film / Video
und Theater / Performance und fragen: welche Strategien der künstlerischen
Aneignung von Film als Script für theatrale Inszenierungen, welche filmischen
Formen der Übersetzung von Aufführungen in technische Medien sind entwickelt
worden. Welche Formen der Präsentation, die die klassische Bühne / Zu-
schauerraum oder Kino-Situation verlassen, werden ausprobiert?
Themen wie 'Raum als Gestaltungsparameter', 'die Bedeutung von Interfaces
für den künstlerischen Umgang mit Medien', 'Installation als eine Form der
Inszenierung' ergänzen die Beschäftigung mit einzelnen Medien um alle Künste
umfassende Aspekte, die aktuelle Dramaturgien hervorbringen. Nicht zuletzt
spiegelt sich diese Vielfalt von Dramaturgien, Spielweisen und Inszenierungen
in einer Tätigkeit, die ausgehend von dem Bereich des Ausstellens in Museen
und Galerien auch in den dramaturgischen Bereich eingezogen ist: der des
Kuratierens. Recherchieren, Auswählen, Präsentieren von Programmen und
Aufführungen, die eben nicht mehr getrennt nach Kunstsparten stattfinden,
sondern gerade Verknüpfungen stiften, ist Resultat dieses intermedialen Ver-
ständnisses.
Musik / Tanz
Mit der Schwerpunktwahl Musik / Tanz ist zum einen eine Konzentration auf
dramaturgische Fragen des Musiktheaters sowie auf Konzert- und Tanz-
dramaturgie verbunden. Vermittelt werden ein ästhetisches und geschichtliches
Verständnis sowie wissenschaftlich fundierte und künstlerische Zugangs-
weisen zu historischen, zeitgenössischen und experimentellen Formen
von Musiktheater, Konzert und Tanz. Zum Curriculum dieses Schwerpunkts
gehören auch musik- und tanzspezifische praktische Angebote anderer Fach-
richtungen wie Tanz-, Gesangs-, oder Instrumentalunterricht und Tonsatz,
Instrumentation oder Partiturkunde.
Ausgehend von einer im 20. Jahrhundert stärker werdenden Tendenz zur
Musikalisierung des Theaters und zur Theatralisierung der Musik werden
besonders die Schnittstellen zu Entwicklungen des zeitgenössischen Theaters,
der Performance und der Medien beleuchtet und reflektiert. Rhythmisierungen
von Theatervorgängen, chorisches Sprechen oder der atmosphärische Einsatz
von Sound-Effekten gehören ebenso zu dieser Entwicklung wie jede Art der
szenischen Musik, der Raum-Musik, der Einsatz (live-)elektronischer Medien
oder ein erweitertes Verständnis von Komposition als Schnittstelle von musika-
lischen, textlichen, medialen, visuellen und choreografischen Strukturen.
Ein weiterer Fokus liegt auf der konkreten produktionsdramaturgischen Beglei-
tung und Entwicklung von musikalisch-szenischen Projekten im weitesten
Sinne, von der Opernproduktion über die experimentelle Projektentwicklung bis
hin zur Konzert-Performance. Der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen
den verschiedenen Ausbildungsbereichen der Hochschule und anderen
Institutionen gilt hier das besondere Interesse, ebenso der Kooperation inner-
halb des 2016 an der HMT gegründeten Zentrums für Gegenwartsmusik.
Praxisbezug
Dramaturgie ist an der HMT Leipzig eingebettet in ein Umfeld von über 90
künstlerischen Studiengängen, von Komposition und Jazz über zahlreiche In-
strumentalfächer bis zu Gesang und Schauspiel. Sowohl innerhalb der
Fachrichtung als auch fachrichtungsübergreifend werden musikalische, szen-
ische und kuratorische Projekte erarbeitet oder begleitet. Daneben bestehen
Kooperationen mit externen Partner:innen wie dem Deutschen Literaturinstitut
Leipzig (DLL), der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) oder dem
Schauspiel Leipzig. Neben Übungen und kleineren Projekten sind in der
Studienordnung auch längere Praktika vorgesehen, die innerhalb von Instituti-
onen im Theater-, Medien- oder Musikbereich, im Rahmen von Hochschul-
projekten oder als selbständige Projekte der Studierenden absolviert werden
können. Lehraufträge von Dozent:innen aus unterschiedlichsten Bereichen
der Berufspraxis – von Regisseur:innen, Dramaturg:innen, Autor:innen und
Komponist:innen über Szenograf:innen, Film-, Video- und Audiokünstler:innen
bis zu Theater- und Festivalleiter:innen, Kurator:innen und PR-Spezialist:innen –
gehören zum Curriculum. Der Praxisbezug wird erweitert durch regelmäßige
Workshops und Vorträge.
Lehrende
An der Fachrichtung Dramaturgie unterrichten als festangestellte Lehrkräfte
drei Professorinnen und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter:
Prof. Dr. phil. habil. Babara Büscher (Medien / Intermedialität),
Prof. Dr. phil. Regine Elzenheimer (Musiktheater / Konzert / Tanz),
Prof. Dr. phil. habil. Annette Storr (Theater / Performance)
Dr. phil. Jens-Dag Kemser (Theater)
Medienpraxis wird in einem kontinuierlichen Lehrauftrag von Dr. Christine Lang
unterrichtet. Weiterhin waren und sind u.a. folgende Gastdozenten in die Lehre
an der Fachrichtung involviert:
Bettina Auer (Musiktheater-Dramaturgin),
Stephan Buchberger (Musikdramaturg Ruhrtriennale),
Constanze Fischbeck (Bühnenbildnerin/ Videokünstlerin),
Cathy de Haan (Drehbuchautorin),
Patrick Hahn (Musikdramaturg Gürzenich-Orchester),
Kirsten Hehmeyer (Leitung Pressebüro Deutsche Oper Berlin),
Daniel Hengst (Videokünstler),
Alexander Kerlin (Dramaturgie Theater Dortmund),
Hans-Werner Kroesinger (Regisseur),
Wolfram Lotz (Autor),
Ulrich Mokrusch (Intendant Stadttheater Bremerhaven),
Irina Pauls (Choreographin),
Christine Peters (Kuratorin),
Jossi Wieler und Sergio Morabito (Intendanz / Dramaturgie Staatsoper Stuttgart),
Martin Wigger (Dramaturg) u.v.m.
Geschichte
Die Fachrichtung Dramaturgie an der HMT wurde 1993 / 94
gegründet. Diese Gründung erfolgte nach der Auflösung der bis
dahin in Leipzig existierenden Theaterhochschule »Hans Otto«,
an der man Schauspiel, Choreografie und Theaterwissenschaft
studieren konnte. Die Schauspiel-Ausbildung wurde der
Leipziger Hochschule für Musik »Felix Mendelssohn Bartholdy«
angeschlossen, die Theaterwissenschaft wurde an die Universität
verlegt und an der Hochschule wurde die Fachrichtung
Dramaturgie gegründet. Seither heißt die Leipziger Hochschule
"Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy«".